Die kleinen blauen Männchen mit der roten Laterne
Vom 19.7.2023, leicht gekürzt: Die Überschrift liest sich vielleicht ein wenig sonderbar, aber keine Sorge, du kannst beruhigt weiterlesen, es handelt sich tatsächlich um ein ernsthaftes Fotoprojekt. Es geht im Folgenden um Prachtlibellen (Familie Calopterygidae) und ihre faszinierenden Rituale. Prachtlibellen sind in Deutschland selten geworden. Sie benötigen saubere Fließgewässer mit natürlicher Ufervegetation um sich wohl zu fühlen. Auf Sardinien sehe ich sie an den zahlreichen kleinen Flüssen und Bächen des Montiferru zu Hunderten. Sie gehören so selbstverständlich zum Ufersaum, dass ich sie lange Zeit kaum als Fotomotive beachtet habe. Seltsam eigentlich, dass das, was immer im Überfluss da ist, weniger interessant scheint, als die besonderen, seltenen Arten. Für diesen Sommer hatte ich mir vorgenommen, diese Libellen etwas genauer anzuschauen.
In Deutschland sind die Gebänderten Prachtlibelle (C. splendens) oder der Blauflügel-Prachtlibelle (C. virgo) heimisch. Wobei sich das Blau im Artennamen auf das Männchen bezieht. Die Weibchen beider Arten sind braun bis goldfarbig.
Bei den von mir beobachteten Prachtlibellen handelt es sich um die Bronzene Prachtlibelle mit dem etwas befremdlichen wissenschaftlichen Namen Calopteryx haemorrhoidalis. Das Verbreitungsgebiet dieser Art beschränkt sich auf das westliche Mittelmeergebiet. Erst seit vier Wochen folge ich den kleinen fliegenden Schönheiten intensiv mit der Kamera und bin fasziniert von der vielfältigen „Körpersprache“ dieser Tiere. Bei den ersten Fototouren wollte ich von Männchen und Weibchen erst einmal je ein schönes Artenporträt, das Farbe und Glanz gut einfängt.
Interessanter ist es, den Moment einzufangen, in dem ein sitzendes Tier die zarten Flügel auffächert. Mit schimmernden Glanzlichtern oder im Gegenlicht, das die Flügeläderung zur Geltung bringt. Beim Beobachten und Warten auf diese Motive geschah etwas Merkwürdiges: wenn eine andere Prachtlibelle sich im Überflug näherte, reagierte die sitzende Libelle. Sie spreizte die Flügel und streckte den Leib senkrecht nach oben.
Ein Paarungsangebot? Oder eine „Hau-ab-das-ist-mein-Revier“-Geste? Nach vielen Beobachtungsrunden interpretiere ich die Geste als Revierverhalten. Weil es meistens zwei weibliche Tiere sind, zwischen denen diese Auseinandersetzungen ablaufen. Eine gute Sitzwarte, von der aus nach Insekten gejagt werden kann ist begehrt, sie wird umkämpft und verteidigt.
Es ist spannend, diese Konfrontationen im Foto festzuhalten. Meistens reicht die beschriebene Drohgebärde der Sitzwarteninhaberin, um die Sache zu klären. Gelegentlich kommt es aber für Sekundenbruchteile auch zu kleinen Kämpfen und Zusammenstößen. Ein Beispiel zeigt in der Galerie unten das Foto Nr. 23. – leider sind nur zwei Beinchen scharf 🙁
Bei der Suche im Internet nach Berichten über ähnliche Beobachtungen fand ich verschiedene Interpretationen, zum Beispiel bei Wikipedia und in Form eines Videos hier. Hier wird allerdings mehr auf männliches Revierverhalten verwiesen. Bei meinen Beobachtungen ist das Revierverhalten viel häufiger charakteristisch für die Weibchen gewesen. Aber auch als Paarungsgeste konnte ich es fotografieren, drei Beispiele sind in der Galerie unten auf den Bildern Nr. 28-30 zu sehen. Nach meinen Beobachtungen kommt es auf den Kontext an, was damit gemeint ist.
Interessant fand ich in dem oben genannten Wikipedia-Artikel das folgende Detail bei der Beschreibung des Männchens: „An der Unterseite der letzten beiden Abdominalsegmente befindet sich eine rosarote bis rote Färbung, die sogenannte „rote Laterne“. Diesem Merkmal verdankt die Art ihren wissenschaftlichen Namen haemorrhoidalis“.
Mir war bei den Männchen bisher nur gelegentlich ein schwacher roter Schimmer am hinteren Libellenende aufgefallen. Von Wikipedia animiert, machte ich mich gezielt auf die Suche. Gibt es sie wirklich, diese Laterne?
So richtig freigiebig waren die kleinen blauen Männchen mit ihrer Gestik nicht. Aber gelegentlich zeigten sie kurz das Signallicht am Achtersteven. Eine Darbietung für das Weibchen? Oder auch ein Territorialverhalten? Nach dem, was ich bisher gesehen habe kommt es auch hier auf den Kontext an. Während das Männchen sich in dem oberen Foto dem Weibchen zeigt, verteidigt dasjenige im unteren Foto sein Revier gegen einen Rivalen.
Hier nun zum Abschluss eine kleine Galerie meiner Prachtlibellen, im Portrait, in Aktion und Interaktion. Mit einem Klick auf ein Vorschaubild öffnest du die Galerie in der Vollbildansicht.