Wildorchidee auf Sardinien - Anacamptis longicornu
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Orchideenfotografie und Bildgestaltung

Im Frühjahr tauchen auf Sardinien in den Wiesen und unter den Olivenbäumen zahlreiche Wildorchideen auf. Die erste Art im Jahr ist immer die Barlia (Barlia robertiana). Sie erscheint schon im Januar. Mit bis zu 80 cm Wuchshöhe ist sie die größte der hiesigen Orchideen und nicht zu übersehen.

Orchideenfotografie auf Sarfdinien - Barlia robertianam
Bild 1: Blüht schon ab Januar: die Barlia robertiana

Aber richtig los geht es im April. Dann blühen viele der 56 auf Sardinien nachgewiesenen Wildorchideen-Arten. Dieses Jahr waren einige schon früher dran. Nicht weit von Cuglieri fand ich im März vier Arten, die, Wind und Wetter zum Trotz, austrieben und ihre Blüten öffneten. Darunter aus der Gattung Ragwurzen Ophrys tenthredinifera und Ophrys morisii, deren winzige Blüten zwischen Gräsern und Sträuchern kaum auffallen. (Bei Anzahl und den Namen bin ich dem Fachbuch Orchidee in Sardegna, Antonia Pessei, Ilisio Edizioni 2017 gefolgt.)

Bild 2: Kleiner Gnom mit Lätzchen, Ophrys morisii
Canon EF 180mm bei f8 und 1/350 sec
Bild 3: Noch einmal, bei direktem Sonnenlicht Ophrys morisii
Bild 4: Trauriges Teufelchen ohne direktes Sonnenlicht

Farben und Formen variieren und verändern sich bei den Ragwurz-Arten vom Aufblühen bis zum Welken. Trockenheit, Wind oder Regen können zu Verformungen führen. Auch ob Fotos bei bedecktem Himmel oder Sonnenschein entstanden sind, kann einen Unterschied machen. Im zweiten Fall reflektieren Teile der charakteristischen Zeichnung, die Farben verändern sich, werden intensiver, s. Bild 2 und 3. Zwei Fotos derselben Blüte können dann denjenigen, die bei der Aufnahme nicht dabei waren leicht wie Fotos zweier unterschiedlicher Arten erscheinen. Hybride und apochromatische Formen sorgen für eine zusätzliche Unsicherheit bei der Bestimmung. Ich finde diesen Formen- und Farbreichtum der Natur einfach nur schön und kann gut damit leben, dass einzelne Pflanzen für mich nicht genau bestimmbar sind.

Bild 5: Kleines Männchen mit Bommelmütze, Ophrys tenthredinifera
Bild 6: Ziemlich klein: Ophrys tenthredinifera
Bild 7: Nah dran: Ophrys tenthredinifera,
Canon EF 180mm bei f8 und 1/350 sec

Ihre Schönheit wird erst im Detail, in einer Makro-Aufnahme, sichtbar. Das 20-Cent Stück oben im Bild 6 hat 20mm Durchmesser. Ein Vollformat-Sensor hat +/- eine Fläche von 24×36 mm². Damit entspricht ein formatfüllend aufgenommenes Objekt von 24×36 mm² einem Abbildungsmaßstab von 1:1. Die maximal erreichbare Schärfentiefe, die vom Abbildungsmaßstab abhängt, liegt bei solch winzigen Motiven im Millimeter-Bereich. Damit auf dem Foto überhaupt etwas von der Zeichnung zu erkennen ist, muss die Sensorebene millimetergenau parallel zur gewünschten Schärfeebene des Objektes ausgerichtet sein. Das ist eine wahre Fummelei bei der Ausrichtung von Kamera und Stativ. Bei f8, gelegentlich auch noch f5.6 passt die Schärfe auf den bildwichtigen Teilen für mich gerade noch so. Exemplarisch sind die Aufnahmedaten für zwei dieser Motive unter Bild 2 und Bild 7 angegeben.

Bild 8: Kleines Wesen mit Häubchen, Anacamptis papilionacea

In den zurückliegenden Jahren konnte ich auf Sardinien viele Orchideenarten fotografieren, plus einigen vermuteten Hybriden und diversen Unbestimmbaren. Einen Auswahl findest du in meiner Galerie Wild-Orchideen auf Sardinien. Ich mag die kleinen Figuren, die sich mit dem Makro in den Blüten entdecken lassen. Kleine Männlein mit ausgebreiteten Armen, mit Flügeln, Hörnern, Häubchen, lachendem Gesicht oder trauriger Miene. Aber es sind letztlich dokumentarische Fotos. Der eigene gestalterische Spielraum ist aus den geschilderten technischen Gründen gering.

Bild 9: Anacamptis longicornu, Detail, Hintergrund homogen und etwas langweilig
Bild 10: Anacamptis laxiflora in einer Wiese, Hintergrund etwas zu unruhig

Um die Ästhetik der Blüten in ihrem Umfeld ins Bild zu setzen habe ich in den letzten Wochen mit anderen Einstellungen experimentiert. „Versuche es einfach mal mit dem Gegenteil von dem, was du bisher immer gemacht hast“ lautet ein Ratschlag zum kreativen Fotografieren. Den finde ich sehr hilfreich, wenn ich an einem Punkt angelangt bin, an dem ich das Gefühl habe, gestalterisch auf der Stelle zu treten. Also nicht, wie in Bild 11 unter diesem Absatz, mit dem 180er Makro ganz nah ran an das Detail. Stattdessen habe ich mit verschiedenen Brennweiten, mit Zwischenringen und mit unterschiedlichen Abständen zum Motiv experimentiert. Testmotive waren aus der Gattung Hundswurzen die ersten Anacamptis longicornu, deren Wuchshöhe ideal für diese Versuche war.

Bild 11: Anacamptis longicornu, Annäherung mit dem 180er Makro

Je länger die Brennweite ist, desto besser lässt sich durch den entsprechend kleineren Sehwinkel und den geringeren Schärfentieferaum der Bildhintergrund ruhig gestalten, damit das Hauptmotiv optimal gegen diesen zur Geltung kommt. Eine komplett homogen Hintergrundlandschaft wie oben in Bild 9, sollte es aber auch nicht sein. Angedeutete Formen von Gräsern, Regentropfen oder Blüten wollte ich schon noch dabei haben. Den Bildausschnitt durch Herauszupfen einzelner Gräser oder Stängel „aufzuräumen“ ist nicht unbedingt die beste Idee.

Bild 12: Zwei Anacamptis longicornu, Wuchshöhe 19 cm

Am – vorläufigen – Ende der Experimente gefallen mir die Ergebnisse mit 400mm Brennweite, mal mit mal ohne Zwischenring – bei 1-2 Metern Motivabstand und f5.6 ganz gut. Sie sind in der Mini-Galerie unten zu sehen. Um auf dem „Hintergrund“ die gewünschte Unschärfe zu erreichen habe ich durch einige Vordergrundgräser und Blätter hindurch fokussiert. Die Bilder zeigen also in Wahrheit eine Kombination aus unscharfem Hinter- und Vordergrund, die das Motiv einrahmt. Eine leichte Überbelichtung kann zusätzlich Ruhe ins Bild bringen. Den Motivabstand und die Entscheidung für oder gegen einen 20/36mm Zwischenring habe ich auf die jeweils vorhandene Vordergrund-Vegetation, die sich unscharf um das Motiv legen sollte, abgestimmt.

Mit diffusem Licht, also bei bewölktem Himmel funktioniert diese Methode besser als bei Sonnenschein, weil direktes Sonnenlicht unruhige Licht-Schatten-Flecken ins Bild bringt. Leichter Nieselregen ist ebenfalls gut geeignet. Die unscharfen Tropfen geben einen interessanten Akzent auf dem Hintergrund. Auch ein leichter Wind kann hilfreich sein. Wenn sich die Gräser auf ihren dünnen Halmen bewegen, während die Orchidee mit ihrem dickeren Stängel stabil bleibt, bringt dies einen zusätzlichen Wischeffekt in den Hintergrund. Unten siehst du die ersten Versuchsergebnisse. Im Moment gefällt mir das letzte Bild am besten. Was meinst du dazu?

4 Kommentare

  1. Liebe Michaela,
    großartige Bilder und vor allem hilfreiche Denkanstöße für die Fotografie von Orchideen. Bei uns sind die Orchideen Anfang Mai soweit, so dass dein Beitrag gerade zur rechten Zeit kommt.
    Ich stelle mir immer die folgenden Fragen:
    Detailaufnahme oder die ganze Pflanze? Hiervon ist die Wahl des Objektivs abhängig.
    Wenn die ganze Pflanze, Hoch- oder Querformat? Das Querformat ermöglicht, noch etwas vom Umfeld einzubauen.
    Den Fuß der Pflanze zeigen oder nicht? Bei deinen Bildern sieht man, es funktioniert auch gut ohne Fuß.
    Mir gefallen die Bilder am besten, bei denen neben der Orchidee noch etwas aus dem Umfeld zu sehen ist. Deshalb sind meine Favoriten die Bilder Nr. 5 und 6.

    1. Lieber Peter,
      vielen Dank für deinen Kommentar und auch dafür, dass du uns deine Strategie zur Herangehensweise beschreibst.
      Orchideen „mit Fuß“ zu zeigen finde ich theoretisch gut. Aber praktisch ist bei Pflanzen mit einer Wuchshöhe von 19cm das Foto dann gestalterisch nicht mehr gut ausbalanciert. Wenn aber bei fehlendem Fuß die unscharfen Vordergrund-Elemente den unteren Stängelbereich umspielen, funktioniert es trotzdem.
      LG Michaela

  2. Herrlich diese Orchideen-Bilder mit interessantem Begleittext.
    Mein Favorit ist das dritte in der zweiten Zeile. (oberhalb deines Favoriten)
    Der Hintergrund ist wunderbar weich und ruhig – das Bokeh lenkt nicht ab und hebt die filigrane Blüte schön hervor. Die zarten Violett- und Grüntöne harmonieren sehr gut. Der warme Hintergrund bringt zusätzlich Tiefe und wirkt natürlich.
    Die beiden Blütenstände sind gut platziert – leicht versetzt, was dem Bild Spannung verleiht. Der Bildaufbau wirkt durchdacht, nicht mittig, aber gut ausbalanciert.
    Die Schärfe sitzt genau dort, wo sie sein soll – im oberen Bereich der rechten Blüte. Die Textur und Maserung der Blütenblätter sind sehr schön zu erkennen.
    Kompliment Michaela, saubere Arbeiten!
    LG Heini

    1. Lieber Heini,
      vielen Dank für dein ausführliches Feedback. Es freut mich, dass dir meine Orchideenfotografien gefallen. An die Platzierung des Hauptmotivs – mittig/aussermittig – bin ich komplett intuitiv heran gegangen. Da war bei der Aufnahme kein Plan im Spiel. Einige haben mir zentriert gefallen, andere leicht aus der Mitte raus. Wie du geschrieben hast, ist es, glaube ich, eine Frage der Balance aus Hauptmotiv und den verschwommenen Hintergrundelementen.
      LG Michaela

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